Zitat aus der Brigitte (da der Artikel seit 1.01.02 nicht
mehr Online zur Verfügung steht)
Seit vor neun Jahren ein Feriengast in einem alten Schieferstollen
unerklärbare Heilkräfte wahrnahm, ist in Nordenau nichts mehr,
wie es war: Eineinhalb Millionen Kranke pilgerten seither in den kleinen
Ort im Sauerland, sie hoffen auf Genesung. Den 351 Dorfbewohnern hat der
Stollen Geld gebracht - und jede Menge Zwietracht.
Eigentlich müsste die Frau im Rollstuhl heute sterben. "Sie
haben noch drei Monate zu leben", hatte ihr der Arzt gesagt. Diagnose:
Bauchspeicheldrüsenkrebs. Die Zeit ist abgelaufen: Drei Monate, in
denen sie Galle gebrochen hat. Drei Monate, in denen sie Hilfe in drei
Kliniken gesucht hat. Drei Monate, in denen sie mehr aufbewahrt als behandelt
wurde. Entschlossen kämpft sich die 62-Jährige in ihrem Rollstuhl
der Eisentür am Ende des Warteraums entgegen. Ihre Augen weiten sich,
die schmalen Lippen wirken weniger gepresst als in den vergangenen Wochen.
"Ich hoffe, dass hier ein Wunder mit mir geschieht", sagt sie.
Mit ihr warten 40 Menschen auf Einlass.
Der Ort
Nordenau, ein Urlaubsort im Sauerland. Bis Anfang der 90er Jahre schien
das Dorf mit seinen 351 Einwohnern keine Zukunft zu haben. Die einzige
Attraktion war die Ruhe, und die war den Touristen zu langweilig geworden.
Dann entdeckte ein Feriengast in einem alten Schieferstollen am Ortsrand
Erdstrahlen und eine Wasserquelle, die kranke Menschen heilen sollen.
Seitdem ist Nordenau von seinen Leiden erlöst: Eineinhalb Millionen
Pilger der Hoffnung haben das Dorf innerhalb von neun Jahren zum deutschen
Lourdes gemacht.
Der Stollen
Um neun Uhr öffnet Stollenführer Hans Beine die Eisentür.
40 Menschen folgen ihm durch einen engen Gang ins Stollen-Innere. Sie
verstummen, als sich die Felswände zu einem wuchtigen Dom öffnen.
Von feuchten, kantigen Wänden fallen dunkle Tropfen auf den Kieselboden.
Inmitten der von Neonröhren beschienenen Höhle plätschert
die Quelle in ein Bassin. Die Besucher stehen andächtig, erwartungsvoll,
die, denen die Kraft fehlt, haben sich auf weiße Plastikstühle
gesetzt. Sie lassen die Arme hängen, drehen die Innenseiten ihrer
Hände nach außen, als seien so die Heilstrahlen besser aufzunehmen.
Die Besucher
Der typische Besucher bleibt eine Woche in Nordenau, geht dreimal am Tag
in den Schieferberg und kennt mindestens drei Personen, die behaupten,
die Erdstrahlen hätten geholfen oder gar geheilt. Asthmatiker, Hautkranke
und immer wieder Krebspatienten. Menschen aus allen Teilen der Welt tanken
Kraft im Energieberg. Nordenau wird international. Die Japaner sind auch
schon da. Ingrid Clemens träufelt Stollenwasser auf den Kopf des
jungen Mannes vor ihr im Frisierstuhl. "Das Wasser hilft auch gegen
Schuppenflechte", versichert die Friseurin. Nach den ersten Berichten
über die "Wundergrotte" habe keiner im Ort an deren Wirkung
geglaubt. "Beim Wort Wunder mussten wir alle grinsen." Dann
aber, als die zugereisten Kunden unter der alten Trockenhaube von ersten
Heilungen erzählen, wird Ingrid Clemens nachdenklich. Aus Grinsen
wird Glauben - Glauben an die Grotte.
Info und Fragen: info@share-berlin.de
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